Redebeitrag ZeroCovid

Rede von Krissie Müller für ZeroCovid:

Vielleicht war es noch im Januar. Da wurde in einer Facebook-Gruppe die Frage nach einer dezidiert linken Position in der Pandemie aufgeworfen. Alles schien in dem inneren Widerspruch festzustecken, der auf der einen Seite die Regierungspolitik in ihrem Bezug auf wissenschaftliche Daten nur bestätigen konnte oder auf der anderen Seite den raunenden Verschwörungsfantasien derjenigen Futter gab, die sich dafür entschieden haben, die Pandemie zu leugnen oder zu relativieren.

Nach englischem Vorbild gründete sich ZeroCovid D/A/CH – für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Im Grunde war es eine Bündelung dessen, was an losen Ideen bereits hier und da vorhanden war und jetzt in einem interventionistischen Paket von fünf Forderungen zum Inhalt der Kampagne wurde:

1. Ein solidarischer Shutdown – dass es darum gehen müsse, für eine kurze Zeit auch und gerade zuallererst die Betriebe zu schließen. Denn dort finden die meisten Ansteckungen statt. Die aktuelle Politik nimmt Tote inkauf.

2. Niemand darf zurückgelassen werden, Leave No One Behind. Diese Maßnahme muss solidarisch erfolgen. Unabhängig davon, ob sie von unten per Streik organisiert, oder von oben gemanagt wird, und gleichgültig, ob dafür ein Äquivalent zum bedingungslosen Grundeinkommen eingeführt wird oder andere Wege gewählt(gewählt werden).

3. Der Ausbau oder Umbau des Gesundheitssektors. Auch dabei war sowohl möglich, lediglich die aktuellen prekären Bedingungen verbessern zu wollen – als das Mindeste – , als auch Anliegen einer vollständigen Umgestaltung einzubringen.

4. Von Anfang an war die Forderung der Aufhebung der Patente auf die Covid-Impfstoffe dabei. Verbunden mit internationaler Solidarität. Schließlich wäre das alles im besten Fall nicht nur ein nationales Programm, sondern eine international konzertierte Aktion. Die Welt schafft es im besten Fall, ihre Widersprüche zu überwinden und zusammenzuarbeiten, um diese Pandemie zu beenden, durch eine Kombination von unterschiedlichen Maßnahmen, innerhalb derer sogar kapitalistische und linke Interessen einmal zusammenfallen könnten, insofern einige liberale Wirtschaftswissenschaftler:innen ZeroCovid-Ländern, und das meint nicht nur China, bescheinigen, in Sachen Profit jetzt Vorteile zu haben. Also selbst aus dieser Perspektive ist es zwingend vernünftig, die Impfstoffe und die mit ihrer Herstellung verknüpften Technologien zum Gemeingut zu machen, so dass sie allen global zur Verfügung stehen und dabei aber

5. die Kosten der Pandemie der Kapitalseite zuzuschlagen, also nicht auch noch die gelittenen leidenden Bevölkerungen damit zusätzlich zu belasten.

Vorübergehend gelang uns eine unglaubliche Resonanz, in den sozialen Medien und darüber hinaus. Und ja, für mich, als persönliche Assistenz bei einem lokalen Pflegeunternehmen, zufällig Erstunterzeichnerin bei ZeroCovid, war es eine besondere Erfahrung, wenn auf einmal Mems von dir eine solche Verbreitung erfahren.

Sicherlich, mit jedem nationalen Inzidenzabfall schwand auch wieder etwas von dieser kollektiven Energie. Brasilien und Indien liegen weit weg. Niemand möchte etwas von der Möglichkeit einer vierten Welle hören.

Noch unglaublicher, dieses Interview mit einem brasilianischen Virologen namens Lucas Ferrante(1), der eine Supermutante kommen sieht – also eine, die die Wirkung der ersten Generation der Impfstoffe überwinden könnte. Und dass es eigentlich zwingend vernünftig wäre, dem Virus nicht den Globalen Süden zu überlassen – als eine Art ‘Mutationslabor’ einer globalisierten Welt, in der es eben nicht mehr garantiert ist, dass eine Pandemie irgendwann nahezu von alleine “endemisch” wird, also harmloser, für Gesellschaften verkraftbarer. Und dass der Virus eher garantiert wiederkehren wird und der auch noch nicht vollständig geimpfte globale Norden sich nur etwas Zeit kauft.

Die hiesigen täglichen Toten werden oft bereits wieder als “normal” akzeptiert, so kurz vor dem vermeintlichen Schluss.

Andererseits ist es auch traurig, schon an den Egoismus appellieren zu müssen, wo doch eigentlich internationale Solidarität genügen sollte, sich für die Belange der “Virusvariantengebiete” zu interessieren. Die Bilder aus Indien, Nepal oder Lateinamerika.

Aktuell nach Bidens Ja zum Trips Waiver hängt es an Deutschland, dass die Europäische Union – und damit die Internationale Gemeinschaft – sich noch der Patentfreigabe verweigert. Gerade mRNA-Impfstoffe wie derjenige von Biontech-Pfizer eignen besonders zum Gemeingut, da sie nicht dieselben hochtechnologischen Herstellungsvoraussetzungen benötigen wie klassische aus den Viren selbst hergestellte Impfstoffe.

Und deshalb stehen wir heute hier vor dem Biontech-Werk in Marburg und sagen euch Unternehmer:innen und unternehmerischen Interessensvertretungen: Ihr habt vernünftig gesehen keine Wahl – gebt die Patente frei! Und die zu ihrer Herstellung benötigten Technologien! Selbst wenn ihr bloß eine kapitalistische Zukunft wollt, für eure Kinder, müsstet ihr ein Interesse daran haben, diesen Wahnsinn zu beenden.

Und das ist unsere letzte Streikmacht: dass die Möglichkeit einer Zukunft auch in Eurem Interesse liegen muss. Und klar, das ist nur ein Anfang. So wie die Pandemie nur ein erster Vorbote des globalen Klimawandels ist, ist auch dieser Protest ein Auftakt.

Auf Wiedersehen!