Redebeitrag Interventionistische Linke

Die Welt hat Corona und sie steht Kopf. Seit über einem Jahr befinden wir uns im faktischen Ausnahmezustand: mit für unmöglich gehaltenen politischen Maßnahmen, diversen Lockdownvarianten und Einschränkungen. Ende des vergangenen Jahres kam endlich die heilbringende Botschaft: der Impfstoff von BioNtech/Pfizer ist nicht nur in der EU zugelassen, sondern soll noch in den letzten Tagen des Jahres zum Einsatz gebracht werden. Seit Anfang Februar wird nun auch hier im Werk in Marburg produziert. Bis Ende Juni sollen hier 250 Millionen Dosen des Vakzins hergestellt werden. Und so ist mittleweile ein nahendes Ende der Coronamaßnahmen vorstellbar – zumindest in ganz kleinen Teilen dieser Welt. Nämlich hier.

Anderswo sieht das nicht so aus: aus Indien wurden kürzlich über 4.000 Tote täglich gemeldet und auch in anderen Ländern Südostasiens schnellen die Zahlen in die Höhe. Und während es bei uns im globalen Norden realistisch ist, dass der Großteil der Bevölkerung noch in diesem Jahr geimpft sein wird, werden über 100 Länder des globalen Südens noch bis zu zwei Jahre auf den Impfstoff warten müssen. Das sind Jahre, in denen die Pandemie soziale und globale Ungerechtigkeiten weiter verschärfen wird und Jahre in denen Menschen weiter sterben werden. Im Mai 2020 hieß es von der EU-Kommision noch: „Der Impfstoff muss globales öffentliches Gut sein“. Der Blick auf die globale Verteilung der Vakzine heute zeigt aber, dass globale Solidarität beim Thema Impfstoffverteilung nicht angesagt ist. Im Gegenteil.
 
Dabei könnte die weltweite Versorgung mit Impfstoff durchaus funktionieren, ständen dem nicht kapitalistische Eigentumsrechte in Form von Patenten im Wege. Das Problem: Nicht die Gesundheit steht an erster Stelle, sondern der Profit – nicht die Menschen, sondern das Kapital. Wenn Andere durch geistige Eigentumsrechte an der Produktion von Impfstoff gehindert werden, bleibt die Menge des Impfstoffes unweigerlich an die Produktionskapazitäten der Patentinhabenden gebunden. Gerade in Anbetracht einer globalen Pandemie ist dieser Zustand ein Skandal. Denn mit der Aufhebung der Impfstoffpatente und der Weitergabe von Know-How ließen sich vielerorts in größerer Menge und billiger Impfstoff-Generika produzieren. Die Corona-Pandemie könnte so global effizienter bekämpft werden und gefährliche Mutationen könnten durch eine hohe weltweite Impfquote verhindert werden. 
Eine Möglichkeit zur Lösung dieser absurden Situation liegt seit Monaten bei der WTO auf dem Tisch: schon im Oktober 2020 forderten Indien und Südafrika zu Recht die Freigabe der Impfstoffpatente, unterstützt von mehr als 100 Mitgliedsstaaten der WTO. Mit einem sog. TRIPS Waiver könnte das Recht auf Schutz geistigen Eigentums ausnahmsweise aufgehoben und das Wissen der Impfstofftechnologie geteilt werden. Doch die Blockadehaltung der reichen Länder verhinderte dies bisher.
 
Acht Monate und Millionen Tote später, lenken nun sogar die USA ein. Jetzt liegt es maßgeblich an der EU, möglichst zügig nachzuziehen! Wir fordern deshalb die Bundesregierung und die EU auf, der Freigabe von Impfstoffpatenten nicht länger im Wege zu stehen. Wir fordern die sofortige Öffnung der Patente und alternative Patentformen wie Opensource Rechte auf Impfstoffe und technische Geräte! Denn Gesundheit darf kein Gut für die Privilegierten dieser Welt sein, Gesundheit darf nicht an die Profitinteressen des Kapitals gebunden sein!
 
Die Patente freigeben – das geht nicht, denn die kostenintensive Entwicklung der Produkte durch Pharmakonzerne muss patentiert bleiben? Blödsinn: nicht nur wird das hochqualifizierte Personal der Pharmaindustrie durch öffentliche Universitäten ausgebildet, auch aufwendige Projekte der Grundlagenforschung finden in öffentlich finanzierten Laboren statt. Ganz zu schweigen von den Millionen Euro, die Deutschland im letzten Jahr in Biontech und andere investiert hat. Deswegen muss Impfstoff auch öffentliches Gut sein.
 
Es braucht Wettbewerb und Konkurrenz für Innovation und deshalb müssen die Errungenschaften von Biontech und Co mit Patenten geschützt werden? 
Mal ganz davon abgesehen, dass wir stark bezweifeln, dass die einzige Handlungsmotivation von Wissenschaftlichem Personal in Pharmaunternehmen ihr eigener ökonomischer Vorteil ist; auf Konzernebene in einer kapitalistischen Welt stimmt das. Und genau hier liegt das Problem! Wo Wettbewerb herrscht, wo Investment profitabel ist, da wird geforscht. Der Rest fällt hinten runter. Das sehen wir zum Beispiel bei der mangelhaften Forschung zu Malaria: betrifft uns im globalen Norden (noch) nicht und kaufkräftige Abnehmer*innen sind nicht in Sicht. Fertig. Da nützt auch die hochgelobte Konkurrenz nichts. 
Und so zeigt Covid eindrücklich, was auch zuvor schon galt: Unsere Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Ware, die profitabel gehandelt werden soll. Was keinen ökonomischen Nutzen verspricht, wird nicht produziert und nicht ausreichend beforscht.
 
Aber die Frage ist doch: wollen wir das? Wollen wir, dass für Gesundheit nur dann gesorgt wird, wenn sie ökonomisch rentabel für Konzerne ist? Soll Gesundheit weiterhin Ware bleiben? Sollen postkoloniale Machtverhältnisse und Profitinteressen weiterhin bestimmen wo, wie und wozu geforscht wird? Wir sagen: Nein danke, das wollen wir nicht! 
Und deswegen kann die Öffnung der Patente nur ein erster Schritt sein. Ein zweiter muss sein, die Gesundheitsversorgung konsequent zu demokratisieren. Die Erfahrung mit Covid-19 unterstreicht die Dringlichkeit, lebenswichtiges Gesundheitswissen den privaten Monopolen zu entziehen und allen zugänglich zu machen. In der Pandemie wurde noch deutlicher, dass es an der Zeit ist, private Eigentumsrechte kontinuierlich weiter in Frage zu stellen. Und zwar in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, von Wohnen bis zum öffentlichen Nahverkehr, von Energie bis Gesundheit. 
 
Eine gerechte Verteilung des Impfstoffes UND des Wissens um seine Produktion ist nötiger denn je. Es ist unerlässlich, die Pharmakonzerne unter demokratische Kontrolle zu stellen und zu vergesellschaften. Gesundheit darf keine Ware mehr sein!
Menschenleben müssen immer vor Profiten stehen!
Daher fordern wir globale Gesundheitsgerechtigkeit & die Vergesellschaftung des Gesundheitssektors.
Das heißt konkret:
Sofortige Freigabe der Corona-Patente und Weitergabe von Know-How!
Weg mit dem postkolonialen Patentrecht! Corona-Impfstoff für alle und überall!
Die Pharmakonzerne und Krankenhäuser denen, die gesund werden müssen!
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